Systematisches Screening kardiologischer Komorbidität in einer orthopädisch-rheumatologischen Reha-Klinik.

Systematisches Screening kardiologischer Komorbidität in einer orthopädisch-rheumatologischen Reha-Klinik

Schlittenhardt, D. (1), Gerdes, N. (1, 2), v. Kageneck M. (1), Hakuba H. (1), Knüttel U. (1), Schniz E. (1)
(1) Reha-Klinikum Bad Säckingen (RKBS)
(2) Hochrhein-Institut am Reha-Klinikum Bad Säckingen

Hintergrund und Zielsetzung
Das Thema „Multimorbidität in der Rehabilitation“ ist bislang vor allem in zweierlei Hinsicht untersucht worden; und zwar zum einen in der Geriatrischen Rehabilitation, wo ausdrücklich die „geriatrietypische Multimorbidität“ im Mittelpunkt steht (BAR 2008), und zum anderen in Bezug auf psychische Komorbidität in den somatischen Indikationsgebieten der Rehabilitation (Schlittenhardt et al. 2015; Baumeister et al. 2007).

Auf die Tatsache, dass es unter den orthopädischen Patienten des RehaKlinikums Bad Säckingen (RKBS) eine erhebliche Komorbidität im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt, sind wir aufmerksam geworden durch eine Analyse von Daten, die seit 2009 mittels des Fragebogens „Indikatoren des Reha-Status – IRES“ (Bührlen et al. 2005) routinemäßig bei allen Patienten vor der Aufnahme und bei Entlassung erhoben werden. Hauptzweck der Erhebungen ist die Erstellung von individuellen „Patientenprofilen“, in denen – nach Art einer „Laborflöte“ – die Schweregrade der Belastungen auf den 26 Einzel- und 8 Bereichsskalen graphisch dargestellt sind. Diese Patientenprofile liegen i.d.R. den behandelnden Ärzten bereits bei der Aufnahmeuntersuchung vor und dienen dazu, die subjektive Perspektive der Rehabilitanden systematisch in die Eingangsdiagnostik einzubeziehen.

Bei der Analyse von 15.763 IRES-Datensätzen aus den Jahren 2009-2014 hat sich u.a. gezeigt, dass 21,4% der Männer und 30,7% der Frauen angegeben haben, sie hätten beim „Treppensteigen über 1 Stockwerk im normalen Schritt“ Herzschmerzen oder Atemnot in der Ausprägung ‚stark’, ‚ziemlich’ oder ‚mäßig’. Nach den Kriterien der New York Heart Association sind dies Symptome einer Herzinsuffizienz in den NYHA-Stadien III bzw. II. Zusätzlich ergab eine Auswertung der Patientenangaben zu den kardiologischen Risikofaktoren, dass ca. 35% bei beiden Geschlechtern drei oder mehr Risikofaktoren mindestens in der zweitschwersten Ausprägung „ziemlich stark“ angegeben hatten.

Ziel der Pilotstudie, über die hier berichtet wird, war es, die Patientenangaben zu kardiologischen Symptomen und Risikofaktoren anhand von Arztangaben zu validieren und so zu kalibrieren, dass sich aus den Patientenangaben ein möglichst „arztnahes“ Urteil darüber ableiten lässt, ob im betreffenden Fall eine zusätzliche kardiologische Diagnostik indiziert ist.

Die Grundidee zielt auf ein zweistufiges Screening-Verfahren ab, in dem als 1. Stufe im IRES-Patientenprofil bei Vorliegen definierter Antwortkonstellationen ein deutlich sichtbarer Vermerk „H-K?“ eingefügt wird, der den behandelnden Arzt darauf aufmerksam macht, dass die Patientenangaben Hinweise auf mögliche kardiologische Probleme enthalten. Diese 1. Screeningstufe würde bei dem hier vorgeschlagenen Verfahren automatisch von allen Patienten durchlaufen. Als 2. Screeningstufe sollte dann in den entsprechend markierten Fällen vom behandelnden Arzt geprüft werden, ob zusätzliche diagnostische Verfahren (wie z.B. Belastungs-EKG oder Echokardiograpie) noch in der Klinik oder ambulant nach Entlassung eingesetzt werden sollten, um die Befunde abzuklären und ggf. therapeutische Maßnahmen einzuleiten.

Patienten und Methodik

Von den Ärzten des RKBS wurde im Juli/August 2015 für n=182 Patienten (43% Frauen) ein Arztbogen ausgefüllt, in dem nach kardiologisch relevanten Parametern gefragt wird (Cholesterin, Triglyceride, Glucose, Adipositas, Hypertonie, Angina pectoris bzw. Dyspnoe bei Belastung sowie EKG-Bewertung); Bewertungskategorien waren jeweils ‚unauffällig’, ‚auffällig’ und ‚unklar’. Zusätzlich wurde um eine zusammenfassende Bewertung gebeten, ob weiterführende kardiologisch-diagnostische Maßnahmen erforderlich seien (ja/nein).

Die Arztbögen wurden dann mit den IRES-Angaben der betreffenden Patienten zusammengeführt. Bei der Auswertung wurden die Angaben zu den Risikofaktoren zwischen Ärzten und Patienten verglichen, und es wurden multivariate Diskriminanzanalysen berechnet, um zu ermitteln, inwieweit die zusammenfassende Arztbewertung aus den kardiologisch relevanten IRES-Variablen vorhergesagt werden kann.

Ergebnisse

Beim direkten Vergleich der Arztangaben mit den entsprechenden Antworten im IRES zeigten sich je nach Variable sehr unterschiedliche Grade der Übereinstimmung. So wurden von den Ärzten 90% der 14 Patienten, die einen ‚stark’ oder ‚ziemlich’ erhöhten Blutdruck angegeben hatten, als „auffällig“ und nur 10% als „unauffällig“ in Bezug auf Hypertonie eingestuft. Beim Risikofaktor Cholesterin betrugen die entsprechenden Prozentsätze 57% „auffällig“ und 43% „unauffällig“. Bei weniger „medizinnahen“ Parametern des IRES wie z.B. „Herzbeschwerden/ Atemnot beim bergan Gehen“ dagegen wurden von den 33 Patienten, die starke’ oder ‚ziemliche’ Beschwerden angegeben hatten, von den Ärzten 86% als unauffällig in Bezug auf Angina pectoris und 50% als unauffällig in Bezug auf Dyspnoe eingestuft.

Insgesamt sahen die Ärzte bei 43 Fällen (23,8%) einen Bedarf an weiterführenden kardiologisch-diagnostischen Maßnahmen; und zwar meistens in Form eines Echokardiogramms (n=30) und/oder eines Belastungs-EKGs (n=26).

In die Diskriminanzanalyse (Methode: schrittweise) wurden von allen vorgegebenen IRES-Variablen nur die Patientenangaben zu Bluthochdruck und erhöhtem Cholesterin aufgenommen. Diese beiden Parameter konnten die zusammenfassende Arzteinschätzung in 70,9% der Fälle korrekt klassifizieren. Alle übrigen IRES-Variablen – so z.B. auch die Patientenangaben zu Herzschmerzen/Atemnot unter Belastung – wurden nicht in die Analyse aufgenommen, weil sie keinen zusätzlichen Beitrag zur Klassifizierung leisteten. Dies bedeutet gleichzeitig, dass sie für das zusammenfassende Arzturteil nicht relevant waren.

Diskussion

Sowohl die Arztangaben als auch die Selbsteinschätzungen der Patienten weisen auf einen Anteil von ca. 25% kardiologisch auffälligen Patienten hin – und dies ist ein Befund, der auch in einer orthopädisch ausgerichteten Reha-Klinik nicht übergangen werden sollte.

Die Diskrepanzen zwischen Arturteil und Patientenangaben bei allen nicht „medizinnahen“ kardiologischen Parametern dürften darauf hinweisen, dass solche subjektiven Parameter bei der – in erster Linie orthopädisch ausgerichteten – Eingangsuntersuchung nicht gezielt exploriert werden. Wir ziehen deshalb aus den Ergebnissen der Pilotstudie den Schluss, dass ein automatisches Screening in Form der eingangs erläuterten 1. Screeningstufe hilfreich wäre, um die Ärzte auf Patientenangaben aufmerksam zu machen, die auf kardiologisch relevante Beschwerden und Risikofaktoren schließen lassen.

Schlüsselwörter:

Kardiologische Komorbidität, Screening, Multimorbidität, Arztangaben vs. Patientenangaben

Literatur:

BAR (2008) Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Arbeitshilfe zur Geriatrischen Rehabilitation. Frankfurt/M.      Download unter: http://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/ dateiliste/publikationen/arbeitshilfen/downloads/Arbeitshilfe_Geriatrie.pdf

Härter M, Baumeister H, Bengel J (Hrsg) (2007): Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen. Springer; Heidelberg:

Schlittenhardt D et al. (2015): Psychische Belastungen zu Beginn und am Ende der Reha-Maßnahme in einer orthopädisch-rheumatologischen Rehabilitationsklinik. In: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg): 24. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium 2015. DRV-Schriften Band 107, S. 205-207