Rekonditionierung in „Gruppen“ als Therapiekonzept

Rekonditionierung in „Gruppen“ als Therapiekonzept
in der Rehabilitation von Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen

Eine prospektive, kontrollierte Therapiestudie mit randomisierter Prüfung
gegen eine „Standardtherapie“ bei einjährigem Follow-up

Beginn: 01.12.1996

Ende: 28.02.1999

Projektträger: VDR

Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Symptomen in den westlichen Industrienationen und verursachen erhebliche direkte und indirekte Kosten. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten durch muskuloskelettale Beschwerden haben sich zwischen 1976 und 1990 verdoppelt, während sie bei anderen Krankheitsgruppen nicht angestiegen sind. In den letzten Jahren wurden bei den Rentenversicherungsträgern jährlich etwa 300.000 Rehabilitationsmaßnahmen wegen Rückenschmerzen beantragt. Dies macht ein Drittel aller Reha-Maßnahmen aus. Bei dem enormen Aufwand, den diese eine Indikationsgruppe erfordert, kommt deshalb der Frage nach der Wirksamkeit der dafür eingesetzten Maßnahmen eine besonders hohe Priorität zu. Zahlreiche internationale Studien belegen jedoch, daß die in der Reha-Medizin üblichen Standard-Therapien bei chronischen Kreuzschmerzen nur relativ geringe Effekte erbringen. Abgesehen von sehr aufwendigen Programmen mit Arbeitserprobung („work hardening“, USA) gibt es derzeit keine konservativen Therapieprogramme, die nachgewiesenermaßen mit guten Erfolgsaussichten bei Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen eingesetzt werden können.

Deshalb haben wir für Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen ein Therapiekonzept entwickelt, das einen größeren Langzeiteffekt erwarten läßt. Als die vier Hauptsäulen in unserem Therapiekonzept betrachten wir:

  • Die Durchführung aller Therapiemaßnahmen in stabilen Gruppen, die während der gesamten Reha-Maßnahme zusammenbleiben.
  • Die kontinuierliche Betreuung und Begleitung aller Therapiemaßnahmen durch einen zuständigen Arzt / Therapeuten.
  • Bergtouren als aufbauendes submaximales Belastungstraining unter Verwendung von Teleskopstöcken (zur Entlastung der Lendenwirbelsäule und zum dynamischen Training von Rumpf und Schultergürtel).
  • Eine physiotherapeutisch angeleitete Rückenschule zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur und Verbesserung der Körper- und Selbstwahrnehmung, sowie eine ergotherapeutisch ausgerichtete Rückenschule, die sich auf das Einüben von rückengerechten Körperhaltungen in alltäglichen Arbeitssituationen konzentriert.

Wir nennen dieses Therapiekonzept Rekonditionierung in Gruppen, wobei der Terminus „Rekonditionierung“ sowohl das Auftrainieren der körperlichen Kondition als auch die psychosoziale Neuorientierung bezeichnen soll, die sich aus der Erfahrung der eigenen Leistungsfähigkeit und der sozialen Verstärkung durch die Gruppe ergibt.
Daß ein solches Therapiekonzept wirksam ist, erscheint auf dem Hintergrund der Problemkonstellationen, die bei diesen Patienten anzunehmen sind, besonders plausibel: Diese Therapie vermittelt den Patienten, daß sie in sich selbst noch Potentiale haben, die geweckt werden und das Leben auch dann noch attraktiv machen können, wenn es durch Schmerzen, Krankheit, „resignative Lebensbilanzen“ o.ä. beeinträchtigt ist. Daß sich auf dem Hintergrund solcher neuer Erfahrungen Verspannungen und Verkrampfungen lösen, Schmerzen abnehmen oder als weniger belastend wahrgenommen werden und insgesamt die Fähigkeit zur Lebensbewältigung zunimmt, ist innerhalb eines psychosomatischen Krankheits- und Behinderungskonzepts auch in theoretischer Hinsicht plausibel.

Um zu prüfen, ob dieses Therapiekonzept wirklich besser ist, haben wir es in einer kontrollierten Therapiestudie gegen eine „Standardtherapie“ geprüft. Die Zuordnung von Patienten zur Fall- bzw. Kontrollgruppe erfolgte nach Anmeldedatum. Im Eingangsprofil gab es zwischen den beiden Vergleichsgruppen keine signifikanten Unterschiede. Die Ergebnismessung wurde mittels eines Arztbogens und einiger Patientenfragebögen (IRES, FFbH, FSS, Patientenzufriedenheit) vorgenommen, die zu Beginn und am Ende der Rehabilitation sowie 6 und 12 Monate danach erhoben wurden. In der Fallgruppe konnten 69 und in der Kontrollgruppe 62 Patienten mit vollständigen Angaben zu allen Erhebungszeitpunkten ausgewertet werden.

Die Ergebnisse zeigten im IRES-Fragebogen bei Reha-Ende in der Fallgruppe etwas bessere Effekte (Effektstärke ES = 0.92) als in der Kontrollgruppe (ES = 0.61). Unter Einbeziehung der Katamnesen nach 6 und 12 Monaten ergab eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung hochsignifikante Verbesserungen (mit „mittleren“ Effektstärken) in beiden Gruppen. Zwischen den Gruppen gab es insgesamt im Zeitverlauf allerdings keine signifikanten Unterschiede.

Als Erklärung für dieses enttäuschende Ergebnis käme u.a. in Frage, dass das eingesetzte Therapieprogramm kein „reinrassiges“ Rekonditionierungsprogramm war, sondern der Versuch, Elemente von Rekonditionierung in das mehrdimensionale Programm einer „normalen“ Rehabilitationsklinik zu integrieren. Wegen der zahlreichen leistungsschwächeren Patienten musste dabei mit relativ „milden“ Formen des Leistungstrainings gearbeitet werden. Dies hat wahrscheinlich die Effekte des Rekonditionierungsprogramms abgeschwächt und darüber hinaus Friktionen zwischen verschiedenen Patientengruppen erzeugt.

Wenn der hier eingeschlagene Weg, der vor allem auch bei den beteiligten Therapeuten großen Anklang gefunden hat, weiterentwickelt werden soll, müsste man wahrscheinlich die Leistungsanforderungen im Programm steigern und die Teilnahme von vornherein auf ausgewählte Gruppen von relativ belastbaren und gut motivierten Patienten beschränken.