Systematisches Screening des Bedarfs an Sozialberatung

Systematisches Screening des Bedarfs an  Sozialberatung in einer orthopädisch-rheumatologischen Rehabilitationsklinik

Schlittenhardt, D. (1); Gerdes, N. (1, 2); Weber-Eckert, D. (1); Wißmann, H. (1); Malzacher. B. (1)
 (1) RehaKlinikum, Bad Säckingen

(2) Hochrhein-Institut am RehaKlinikum Bad Säckingen

Hintergrund und Zielsetzung

Die Sozialberatung nimmt in den Vorgaben der Deutschen Rentenversicherung zu den Mindestanforderungen an therapeutische Leistungen während einer medizinischen Rehabilitation einen durchaus erheblichen Platz ein (z. B. sollen mindestens 50% der Patienten eine individuelle Sozialberatung von mindestens 30 Minuten pro Reha erhalten; DRV 2011). In wissenschaftlicher Hinsicht dagegen ist die Reha-Sozialberatung mit wenigen Ausnahmen einfach nicht existent. Entsprechend wenig ist über Prozesse der Indikation oder vorrangige Themen dieser Therapieform bekannt – ganz zu schweigen von Fragen ihrer Wirksamkeit.
Auf diesem Hintergrund haben wir uns gefragt, nach welchen Kriterien in der eigenen Klinik die Zuweisung zur Sozialberatung erfolgt. Von den Mitarbeiterinnen dieses Fachbereichs wurde berichtet, dass im Hinblick auf die Zuweisungen zur Sozialberatung ein Problem sowohl von Über- als auch von Unterversorgung besteht. Als Ansatzpunkt zur Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit haben wir ein systematisches Screening aller Patienten anhand des IRES-Fragebogens (Bührlen et al. 2005) entwickelt und erprobt, der seit 2009 routinemäßig in unserer Klinik erhoben wird und dessen Auswertungsergebnisse in Form eines „Patientenprofils“ dem behandelnden Arzt i.d.R. bereits bei der Aufnahmeuntersuchung vorliegen.

Methodik

Im IRES-Fragebogen gibt es 6 Einzelfragen, deren Beantwortung direkt auf einen Bedarf an Sozialberatung schließen lässt; z.B.: „Ich erwarte von der Rehabilitation, dass man mir bei arbeits- und sozialrechtlichen Fragen hilft“ oder: „… dass man mich über berufliche Umschulungsmaßnahmen informiert und berät“ (jeweils 5 Antwortkategorien von „sehr wichtig“ bis „gar nicht wichtig“). Der Ansatz des Screenings besteht darin, bei bestimmten Antworten auf diese 6 Fragen einen deutlich sichtbaren Vermerk „Soz?“ in das Patientenprofil einzufügen. Zu beachten ist dabei, dass die Häufigkeit des Vermerks nicht zu einer „Inflation“ der Zuweisungen zur Sozialberatung führen und deshalb maximal etwa 50% der Patienten betreffen sollte. Um Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser Frage zu finden, haben wir in dem IRES-Datenpool aus den Jahren 2009 – 2014 (n = 15.763) die Häufigkeitsverteilungen der Antworten zu den betreffenden 6 Fragen ermittelt und ausgezählt, wie viele Patienten wie viele der 6 Fragen mit „sehr wichtig“ beantwortet haben.

Ergebnisse

Als Ergebnis zeigte sich, dass 50,5% eine oder mehrere Fragen als „sehr wichtig“ eingestuft haben. Als Bedingung für die Einfügung des Vermerks „Soz.?“ im IRES-Patientenprofil kann deshalb ganz einfach festgelegt werden, dass der Vermerk im Profil erscheinen soll, falls ein Patient mindestens eine der 6 Fragen mit „sehr wichtig“ beantwortet hat. Da im neuen Patientenprofil die 6 Fragen aufgelistet werden und markiert wird, welche der Fragen mit „sehr wichtig“ oder „ziemlich wichtig“ beantwortet wurden, sind die individuell relevanten Themen der Sozialberatung auf einen Blick im IRES-Profil erkennbar.

Diskussion

Bei dem hier vorgestellten Verfahren durchlaufen alle Patienten ein systematisches Screening ihres Bedarfs an Sozialberatung, falls der IRES-Fragebogen sowieso routinemäßig erhoben wird. Aber auch in Kliniken, in denen dies nicht der Fall ist, könnten die Screening-Fragen den Patienten vorgelegt und dank des simplen Auswertungsalgorithmus sehr einfach ausgewertet werden. Das Screening dürfte als diagnostisches Hilfsmittel vor allem für Ärzte hilfreich sein, die in der reha-spezifischen Diagnostik noch nicht viel Erfahrung haben oder mit dem Sozialsystem in Deutschland noch nicht vertraut sind.

Vorteile des Verfahrens sind darin zu sehen, dass es eine bedarfsgerechte Zuweisung zur Sozialberatung ermöglicht, die an der Selbsteinschätzung der Patienten orientiert ist. Da das Patientenprofil auch für Mitarbeiterinnen der Sozialberatung im klinischen Dokumentationssystem abrufbar ist, können sie sich im Vorfeld eines Beratungsgesprächs über die individuell relevanten Themen informieren und sich dementsprechend auf das Gespräch vorbereiten.

Stichwörter:

Sozialberatung, Bedarfsgerechtigkeit, Patientenorientierung, Screening

Literatur

Bührlen B, Gerdes N, Jäckel WH (2005): Entwicklung und psychometrische Testung eines Patientenfragebogens für die medizinische Rehabilitation (IRES-3). Die Rehabilitation; 44, 63-74

DRV Deutsche Rentenversicherung (2011): Reha-Therapiestandards Chronischer Rückenschmerz. Leitlinie für die medizinische Rehabilitation der Rentenversicherung.

Löffler S, Gerlich C, Lukasczik M, Wolf HD, Neudert S.: Praxishandbuch: Arbeits- und berufsbezogene Orientierung in der medizinischen Rehabilitation. Universität Würzburg, Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie, Arbeitsbereich Rehabilitations­wissenschaften, o.J.

NVL Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz. 1. Aufl. Version 4, 2010; zuletzt geändert: 2013. Download: www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de

 

Systematisches Screening des Bedarfs an Sozialberatung